Hitzige Diskussionen bleiben aus

Schulkonsens Info Podium
Rainer Michaelis hat über die Eckdaten der Sekundarschule informiert. Professor Dr. Eiko Jürgens hat die Probleme des bestehenden Schulsystems in NRW beschrieben. (von links): H.-W. Bruhn, Rainer Michaelis, Fr. Schepsmeier und W. Adam

Was kommt nach der Grundschule? Der Bildungskonsens hat den Weg frei gemacht für eine weitere Schulform. Neben Haupt-, Realschule, Gymnasium und Gesamtschule soll die Sekundarschule die Schüler auf die berufliche Ausbildung und die Hochschulreife vorbereiten.

Ob die neue Schulform vielleicht auch für Rahden eine Chance bietet, darum ging es am Donnerstagabend in der öffentlichen Informations- und Diskussionsveranstaltung, zu der die Rahdener SPD und Bündnis 90/Die Grünen eingeladen hatten.

Gekommen waren mehr als 70 interessierte Eltern, Vertreter von Schulen und von Politik und Verwaltung aus dem gesamten Altkreis Lübbecke.
Professor Dr. Eiko Jürgens von der Uni Bielefeld beschrieb zunächst, woran das bestehende Bildungssystem krankt. Nachweislich entscheide nicht allein die Leistung darüber, welche Schule ein Kind besucht. Häufig spiele die soziale Herkunft eine große Rolle. »Jedes Kind hat ein Recht, unabhängig von seiner Herkunft bewertet zu werden. Das passiert aber nicht.« Hinzu komme, dass falsche Schullaufbahnentscheidungen im Laufe einer Bildungskarriere oft nicht mehr korrigierbar seien. Professor Dr. Jürgens‘ Fazit: »Das Schulsystem vergeudet Talente.« Notwendig seien eine bessere Förderung im Unterricht, längeres gemeinsames Lernen und ein besseres Ganztagsangebot.

Genau dort lägen die Vorteile der Sekundarschule, sagte Rainer Michaelis, Leiter der zuständigen Projektgruppe im Schulministerium. Er stellte die neue Schulform in ihren Grundzügen vor: In den Jahrgängen fünf und sechs wird an der Sekundarschule gemeinschaftlich gelernt, erst in den Jahrgängen sieben bis zehn wird differenziert. Alle Abschlüsse, die an der Haupt- oder Realschule erworben werden können, werden auch an der Sekundarschule angeboten. Zum Abitur führt die Sekundarschule in neun Jahren. Im Gegensatz zur Gesamtschule gibt es aber keine eigene Oberstufe, statt dessen eine Kooperation mit einem Gymnasium, einer Gesamtschule oder einer Kollegschule. Konzipiert ist die Sekundarschule als gebundene Ganztagsschule. Das heißt: An drei Tagen in der Woche wird auch am Nachmittag unterrichtet.

Der Rahdener Kinder- und Jugendmediziner Dr. Wolfgang Adam blieb skeptisch, ob die Einführung einer neuen Schulform wirklich mehr Bildungsgerechtigkeit bedeutet. »Meine Erfahrung ist, der Wert einer Schule hängt im wesentlichen von der Leitung ab und von dem Lehrer, der vor den Kindern steht.« Eine bessere Pädagogik sei wichtiger als eine strukturelle Reform: »Die Lehrer und die Eltern müssen mitgenommen werden. Der Name der Schule und die Schulform spielen nicht die entscheidende Rolle.« Adam fügte hinzu: »Eine neue Schule kann ein großes Glück werden, aber der Rahmen allein reicht nicht. Er muss gefüllt werden mit Inhalten und viel Geld.« (Siehe auch Stellungnahme unten rechts).

Die vielen Sachfragen, die den Referenten anschließend gestellt wurden, zeigten, dass noch ein großer Informationsbedarf beim Thema Sekundarschule besteht. Stellenweise wurde aber auch Kritik hörbar. Birgit Klockenbrink sagte, sie habe den Eindruck, die Hauptschule werde von der Politik kaputt geredet. Der Stellenwert der Hauptschule müsse wieder angehoben werden, forderte sie und sagte, man dürfe von den Kindern nicht immer mehr Leistung und immer qualifiziertere Abschlüsse fordern.

Dagegen wandte Michaelis ein, es gehe nicht darum, mehr Leistungsdruck zu erzeugen, sondern andere und mehr Chancen für Kinder zu eröffnen. »Warum muss ich schon in der dritten oder vierten Klasse festlegen: ÝDu machst Realschulabschluss, du machst HauptschulabschlussÜ?« An der Sekundarschule könnten alle Abschlüsse, auch der für die Betriebe wichtige Hauptschulabschluss, erworben werden. Professor Dr. Jürgens prognostizierte, dass auch in Rahden die Übergangszahlen von der Grundschule zur Hauptschule immer weiter sinken würden. »Die Entwicklung, die die Ballungsräume vormachen, wird ein wenig zeitversetzt auch hier eintreten.«

Hitzige Diskussionen über das Für und Wider einer Sekundarschule in Rahden gab es an diesem Abend (noch) nicht, die Meinungsbildung zu diesem Thema steht noch am Anfang. SPD-Fraktionsvorsitzender Friedrich Schepsmeier: »Wir wollten mit dieser Veranstaltung einen Anstoß geben für weitere Diskussionen in den Schulen, in den Familien und in den Fraktionen. Es wäre schön, wenn beim nächsten Mal auch CDU, Freie Wähler und FDP mit zum Veranstalterkreis gehören. Vielleicht gibt es irgendwann ja auch Veranstaltungen zu dieser Thematik, die von der gesamten Stadt getragen werden.«

Artikel vom 24.09.2011